[Gute Idee das, M'sieur AL]
Shalinea hatte nun schon mehrere Stunden damit verbracht ihr Bier langsam und vorsichtig zu trinken. Sie brauchte einen klaren Kopf und durfte auf keinen Fall ihr Ziel aus den Augen verlieren. Der stygische Mistkerl aus Khemi hatte in Alt Tarantia eine ganze Familie in einer Nacht ermordet. Ihm bereitete es eine Freude zu sehen, wie das Blut aus den Leibern seiner Opfer floss, egal ob jung oder alt, Mann oder Frau. Doch bei seinem letzten abendlichen Vergnügen machte er einen Fehler, eher eine Nachlässigkeit. Diese Nachlässigkeit würde ihm heute zum Verhängnis werden, da war sich Shalinea sicher. Er übersah den schwachen Pulsschlag des kleinen Jungen der Familie. Der Junge überlebte die Nacht und lief am nächsten Morgen direkt vor die Füsse der hochgewachsenen Waldläuferin aus Cimmerien.
Wenn auch Mitleid keine Tugend des großen Croms ist, so beweist Crom seine Stärke nicht gegenüber den Schwachen und Unschuldigen, sondern gegenüber denen, die er als würdig erkennt. Shalinea ehrte diesen Gedanken und brachte den Jungen in ein Waisenhaus, wo sie ihm versprach, seinen Peiniger die gerechte Strafe zukommen zu lassen. Der Junge konnte ihr eine ungefähre Beschreibung geben, die zwei genauere Details enthielt: eine Narbe quer über der Stirn und eine kehlige Stimme.
Shalinea begann sich in der Stadt durchzufragen, bei den Wachen, bei den Händlern und bei den Wirten der Tavernen. Und sie hatte Glück. Der Wirt der Taverne 'Zum grünen Mann' kannte einen Gast, auf den diese Beschreibung passte. Zwar wußte der Wirt nicht dessen Namen, aber er war nun schon seit einigen Tagen meistens nach Mitternacht in die Taverne gekommen. Shalinea wartete also bis in die tiefe Nacht. Schon wollte sie gehen, als sie aus dem Halbschlaf gerissen wurde von einem plötzlichen Aufreissen der Tavernentür und einem krächzenden Ruf: "Wirt! Wein! VIEL WEIN!"
Da war er. Die Beschreibung passte und so dreckig wie er vor sich hingrinste konnte er nur ein Dieb und Mörder sein. Lautstark und sich selbst feiernd setzte sich der Mann in eine Ecke in der Taverne, natürlich nicht ohne Shalinea einzuladen an seiner Feier teilzunehmen. Angewidert lehnte sie ab. "Feier' nur schön deinen Todestag...Was ich von dir überlassen werde wird Crom mit freuden zwischen seinen Fingern zerdrücken.",dachte sie sich nur still.
Nach einer ganzen Weile wurde der Mann langsam müde. Shalinea verließ vor ihm die Taverne und wartete in der Gasse darauf, das ihr Opfer es ihr gleichtat. Doch wieder musste sie elendig lange warten. Am Ende war es die Gnade des Wirtes, welcher ihr Warten beendete und den Mann vor die Tür setzte. Er wankte wie eine Barke auf hoher See als er in ihre Richtung kam. Als sie sich vor ihn stellte hielt er inne und musterte sie von oben bis unten."Aaach...willst wohl doch noch 'n bischen mitfeiern, wie? Was sollst du denn Kosten, hm?" Wieder grinste der Mann dreckig über das ganze Gesicht. Allein schon wegen seiner Worte würde Shalinea ihm die Klinge bis ins Heft reinrammen wollen und mit dem Fuss noch nachtreten, aber sie wollte wenigstens vorher noch herausfinden, ob dieser Mann der gesuchte war.
"Hast du gestern Nacht eine Familie in ihrem Haus am Löwenmarkt ausgelöscht? Und antworte schnell." Der Mann wankte einen Schritt nach hinten und holte tief Luft. "Huiuiui...meine Kleine...das sind aber mal ganz schööööne Anschuldigungen. Wer behauptet denn so etwas übles von mir?" Shalinea verschränkte die Arme und stellte sich breitbeinig in die Gasse. "Der kleine Junge. Es scheint als wäre wohl ein Pfuscher am Werk gewesen. Die Klinge in die Schulter rammen und hoffen das es reicht ist nicht immer eine sichere Sache. Er war nicht tot und hat es geschafft den Mörder seiner Familie zu beschreiben. Und wie es nun mal so ist...die Beschreibung passt auf dich."
Er begann zu lachen, oder besser zu röcheln vor lachen."Hat dieses Blag doch glatt überlebt? Ich fasssss es ja nicht...Dabei hat er geblutet wie ein Schwein und hat meine Kleidung sogar..."
Shalinea trat vor und stiess dem Mann ihr Schwert mit aller Kraft in den Bauch worauf hin die Rede des Mannes ein jähes Ende fand. Er wand sich vor Schmerzen auf dem kalten Pflaster Alt Tarantias und wechselte Jammern und Fluchen in regelmäßigen Abständen. Shalinea kniete neben ihn nieder und fixierte mit der rechten Hand seinen Kopf und bog ihn ein wenig nach hinten.
"Crom verlieh mir Stärke, aber deine Nachlässigkeit, die mich hierher brachte, zeigte mir, das es besser ist immer sicher zu gehen..." Mit diesen Worten zog sie drei Pfeile aus ihrem Köcher und schlug sie ihm in den Hals. Seine Flüche erstarben in einem leisen Gurgeln.
Shalinea wußte, das die Gerechtigkeit damit getan wurde. Sie nahm dem Mann sein Geld ab,schnitt ihm den Kopf ab und packte ihn in einen Leinensack. Diesen legte sie noch in der Nacht vor die Tür des Waisenhauses. Sie wußte das der Junge zumindest davon hören würde und somit erfahren würde, das sie ihr Wort gehalten hatte.
Am nächsten Morgen führte Sie ihr Weg zu den Stadttoren in Richtung der Wilden Lande. In den Strassen Alt Tarantias erzählte man sich einige Geschichten über die Wilden Lande. Mordlüsternde Bestien hielten die Dörfer in Angst und Schrecken, Schmugglerbanden unterwanderten die Handelrouten und die Nemedier fielen langsam aber sicher in das Land ein. Es gab viel Arbeit und vor allem lohnenden Sold an jeder Hausecke, so wie man denn eine finden würde und diese nicht schon zu einer abgebrannte Rouine gehörte.
Shalinea war sich sicher, das sie dort etwas finden würde, was ihr Schicksal bestimmen könnte. Etwas, das ihr Vagabuntendasein vielleicht beenden könnte.
Es vergingen einige Tage in den Wilden Landen und Shalinea hatte sich unter den Dorfbewohnern Tessos schon einen Namen machen können. Sie fühlte sich schon nach weniger Zeit als eine Art Dorfwache und erledigte die Aufgaben der Wachoffiziere und Gouverneure. Es kam Routine in ihr Leben...und das...machte ihr Angst. Sie merkte deutlich, das dies nicht alles sein konnte. Lange Zeit an einem Ort zu verweilen war nicht ihr Wesen. Sie brauchte die Abwechselung, den Geruch von Blut und Freiheit, den Klang wilder Bäche, das rauschen der Gräser im Wind. Und doch brauchte sie auch einen Ort, den sie ihr Heim nennen konnte. Gab es so etwas? Irgendwo auf dieser Welt?
Eines Morgens als sie über den Dorfplatz zog und an einem Händlerstand vorbeikam, verfolgte sie ein Gespräch zwischen einem Händler und seiner Kundschaft. Es ging um einen Söldnerbund, welcher sich in Poitain niederlassen wollte.
"Ja, ein Bund aus irgendwelchen Leuten aus aller Welt. Die wollen ihr eigenes Dorf auf den Ebenen vor Potain errichten."
"Irgendwelche Leute sind das sicher nicht. Woher die alle stammen kann kaum einer sagen, aber ich sage euch, da sind einige bei, mit denen ich keinen Streit möchte."
"Ich habe gehört, die Leute die da an diesem Dorf arbeiten beten auch nicht nur einen Gott an..."
"Nicht nur einen? So etwas kann doch gar nicht gut gehen auf lange Sicht."
"Wieso nicht? Ein Treueschwur unter gleich gesinnten sollte doch genug Kraft geben!"
"Um den Göttern zu trotzen?"
"Die Götter. Die Götter wollen das du ihnen huldigst. Was du sonst hier unten tust...das interessiert sie nicht..."
"Mir wäre das Risiko zu hoch."
"Mir nicht...", dachte sich Shalinea. Der Gedanke in einer freien Söldnergemeinschaft Fuß zu fassen gefiel ihr. Einen Versuch wäre es wohl wert, und...hier und da könnte selbst sie eine helfende Hand gebrauchen. Sie überlegte nicht lange, nahm ihre Sachen zusammen und verließ das Dorf in Richtung Potain und hoffte so, mit jedem ihrer Schritte ihrem wahren Schicksal näher zu kommen.